der andere fellner

Sebastian Fellner

Werther-Effekt: Infos und Links zu den Journalismustagen 2015

Ergänzend zu meinem Vortrag bei den zweiten Österreichischen Journalismustagen habe ich hier einige Infos und Links zum Thema Werther-Effekt und Suizidberichterstattung zusammengefasst.

Leitfäden zur Berichterstattung

Berichte und Texte

Wolfgang Fellners haarsträubendste Frühstückssager

Der große WoFe wurde 60 und neben der von allen Fellner-Medien fotostark gecoverten Party mit prominent bestückter Inseratenerpressee-Gästeliste wurde ihm auch ein »Frühstück bei mir«-Interview auf Ö3 geschenkt (kann man hier nachhören).
Für Leute, die sich nicht durch 35 Minuten von Claudia Stöckls Reportageversuchen (»Ich schenke mir hier noch Kaffee ein«) kämpfen wollen oder Ex-Fellner-Mitarbeiter*innen, die akustisch ausgelöste Flashbacks befürchten: Hier die absurdesten Zitate zur Nachlese:
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ÖVP: Tarnen und Täuschen im Wahlkampf

Die Volkspartei betreibt eine Faktencheck-Plattform, ohne sich dabei zu outen: Mit Wahlfakten.at liefert sie – scheinbar unabhängig – Infos, die ihr im Wahlkampf in die Hände spielen. Können es sich die Schwarzen nicht leisten, mit offenen Karten zu spielen?

Faktenchecks liegen im Trend, gerade in Wahlkampfzeiten. Unabhängige Beobachter*innen, meist Journalist*innen, überprüfen Aussagen der Politiker*innen auf ihren Wahrheitsgehalt.

Bis vor wenigen Stunden zeigte nur eine Whois-Abfrage, dass die ÖVP hinter Wahlfakten.at steckt.

Bis vor wenigen Stunden zeigte nur eine Whois-Abfrage, dass die ÖVP hinter Wahlfakten.at steckt.

Die Volkspartei missbraucht das positive Image des vergleichsweise jungen Genres schamlos und startet ihren eigenen Faktencheck: Wahlfakten.at. Weil er von Parteiseite kommt, ist er für die Leserin, den Leser faktisch wertlos. Das ist aber nur für jene zu erkennen, die sich auf die »Über uns« verirren – nirgends findet sich ein Parteilogo.

Parteipropaganda, getarnt als unabhängige Information
Auch das versteckte Impressum findet sich erst seit einigen Stunden auf der Seite, davor war überhaupt kein Hinweis auf die Urheberschaft zu finden. Erst ein Blick in die Registrar Info der Domain offenbarte, dass die Macherin der Seite in der Lichtenfelsgasse zuhause ist und ÖVP heißt. Die Volkspartei verbreitet Parteipropaganda, getarnt als unabhängige Information.

Zugegeben, zwischen den Zeilen lässt sich eine subtile Nähe zur ÖVP durchaus herauszulesen:

Fazit: Bei Arbeitszeitflexibilisierung kommt es zu einer Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
(…)
Fazit: Die Grüne Regierungsbeteiligung in Wien hat für höhere Werbeausgabe und weniger Transparenz gesorgt.
(…)
Fakt ist, dass gerade in der Vergangenheit Privatisierungen von Staatsunternehmen große Vorteile für die Bürger mit sich brachten. Dass der Staat ein schlechter Unternehmer ist zeigen die Beispiele aus der Vergangenheit.

Der tatsächlich angerichtete Schaden dürfte sich also in Grenzen halten – der VP-Spin springt der Leserin, dem Leser ja geradezu ins Gesicht, krallt sich fest und brüllt ihr/ihm konservative Positionen ins Ohr. Dass die Partei hier aber Parteipositionen als unabhängige Informationen verkauft, zeigt ihr fragwürdiges Verständnis von Transparenz. Und, dass sie im Wahlkampf auch vor schmutzigen Methoden nicht zurückschreckt.

Ich habe den Abteilungsleiter für Web und Multimedia der ÖVP, Gerhard Loub (@Svejk) gestern per E-Mail um eine Stellungnahme gebeten. Zu diesem Zeitpunkt war das versteckte Impressum noch nicht online – eine etwaige Antwort werde ich hier natürlich veröffentlichen.

Korrigieren ist gut, vermeiden ist besser: Fact-Checking und Fehlermanagement, ein fjum-Vortrag

»Menschen werden Journalist*innen, weil sie gerne Geschichten erzählen – und Mathe hassen«. Scott Maier, Journalismus-Professor in Oregon, spricht in der Kurier-Redaktion über Fehler in Zeitungen, ihre Konsequenzen und wie man sie wieder gut machen kann.

Scott Maier in der Kurier-Redaktion

»Die beste Möglichkeit, einen Fehler zu korrigieren ist, ihn gar nicht erst zu machen.«

Scott Maier doziert an der University of Oregon über Journalismus. Auf Einladung des Forum Journalismus und Medien fjum kam er nach Wien um über sein Spezialgebiet Fact-Checking zu referieren. Das tat er auch in der Redaktion des Kurier in der Lindengasse, wo ich seinem Vortrag lauschen durfte. »Ich habe selbst mehr als genug Fehler gemacht«, erzählt Maier, der 20 Jahre lang als Journalist gearbeitet hat. Seine statistisch belegte Kernthese: Zeitungen machen immer mehr Fehler. Warum? Weil es immer mehr Informationen und eine kaum überschaubare Anzahl an Quellen gibt. Und weil Redaktionen zunehmend weniger Geld, weniger Personal zur Verfügung haben.

Journalist*innen hassen Mathe

Tausende Zeitungsartikel untersuchte Maier für seine Studie »Accuracy Matters«. Dafür wurde jede Person, die in einem Artikel als Quelle genannt war, angerufen. In fast der Hälfte der untersuchten Artikel fanden die Quellen faktische Fehler – also falsche Zitate, einen in die Irre leitenden Titel oder falsche Zahlen. »Menschen werden Journalist*innen, weil sie gerne Geschichten erzählen – und Mathe hassen«, sagt Maier. Zustimmendes Gemurmel im Raum.

Auch die Gründe für Fehler hat Maier untersucht. Der häufigste ist Mangel an Verständnis durch die JournalistInnen: »Wir haben alle schon komplizierte Geschichten geschrieben, die uns nicht wirklich interessiert haben, für die wir nur so viel Information wie nötig gesammelt haben.« Besonders in solche Artikeln schleichen sich Fehler ein, weil ein grundlegendes Verständnis der Materie fehlt.

Aber wie wichtig ist es tatsächlich, ob eine Prozentzahl nun stimmt oder ein Straßenname richtig geschrieben wurde? Dass Scott Mair darauf mit »Sehr!« antwortet, mag jetzt nicht wirklich überraschend sein. Aber Tatsache ist: Mit jedem Fehler sinkt die Glaubwürdigkeit des Mediums. Und: Mit jedem Fehler sinkt die Bereitschaft von Quellen, künftig Informationen preiszugeben.

Tipps zur Fehlervermeidung

Was also tun, um Fehler zu vermeiden? Viele von Maiers Methoden sind hinlänglich bekannt, fallen aber unter Zeitdruck unter den Tisch – nach etlichen Jahren im Journalismus mag auch bei der einen oder dem anderen etwas Schlampigkeit einkehren. Maier empfiehlt, jedes Interview aufzuzeichnen. Komplizierte Aussagen soll man sich nochmal einfach erklären lassen (falls das Ego leidet, mit Verweis auf »die Leserin, den Leser: Können Sie das für unsere Leser*innen noch einmal erklären«). Besonders wertvoll: Die Notizen des Interviews direkt im Anschluss mit dem/der Interviewten nochmal durchgehen.

Hilfreich ist auch ein Perspektivenwechsel: Wie wirkt die Geschichte auf die Interviewten, warum sollten die Leser*innen mir glauben? Zum Schluss: ausdrucken, alle Fakten markieren und noch einmal überprüfen.

Ja, Factchecking ist tedious

Nichts, was man nicht irgendwo schon einmal gehört hätte, nichts, was man nicht eigentlich wüsste – und dennoch nichts, was tatsächlich regelmäßig passieren würde. Spaß machen diese Schritte jedenfalls nicht – »they’re tedious«, gibt Maier zu. Fakt ist: Immer weniger Journalist*innen müssen immer mehr Daten aus immer mehr Quellen verarbeiten, oft geht sich ein gründlicher Faktencheck schlicht nicht aus. Das Lektorat, beim Kurier einst 30 Personen stark – abgeschafft. Die letzte Kontrolle hat in der Lindengasse die Schlussredaktion inne – am Wochenende ist das nur eine Person. Für eine ganze Zeitung.

Was die anwesenden Kurier-Redakteur*innen mit großem Interesse aufgenommen haben, war Maiers Vorschlag eines Korrekturbuttons bei Artikeln im Internet, über den Leser*innen Fehler melden können: »Ich glaube, in einem Jahr wird das Standard sein«, schätzt Maier.

 

Fehler passieren – man kann sie aber wieder gut machen.

Fehler passieren – man kann sie aber wieder gut machen.

Fehler schaden der Glaubwürdigkeit einer Zeitung – ein ehrlicher Umgang damit kann aber Schaden begrenzen, das zeugt von Seriosität. Ein fester Platz für Korrekturen kann Leser*innen versöhnlich stimmen, meint Maier. Die New York Times etwa arbeitet jeden Fehler akribisch auf (hat aber auch ausreichend Platz dafür). Und: Maier hält einen Fehler-Zar in der Redaktion für sinnvoll, der letztverantwortlich für Faktenkontrolle zeichnet.

Scott Maiers Vortrag schien eine merkwürdige Mischung aus Euphorie und Resignation in der Kurier-Redaktion zurückzulassen. Zum einen wirkten viele der Journalist*innen wachgerüttelt und motiviert. Auf der anderen Seite steht der enorme Druck, der oft genug auch keine zehn Minuten für einen groben Faktencheck lässt.

 

Disclaimer: Im Gegenzug für die Berichterstattung auf diesem Blog durfte ich auf Einladung des fjum Wien und des Kurier kostenfrei an diesem Vortrag teilnehmen.

Wie echt ist das Geschlecht?

Gender Studies werden als Pseudowissenschaft verspottet, gleichzeitig leiden etliche unter den Vorgaben ihres Geschlechts. Wie viel Geschlecht konstruiert die Gesellschaft, wie viel davon ist echt? Von Buben, die mit Puppen spielen, Genderstudierenden, die überall Phalli sehen und dem Penis des Hyänenweibchens.

»So: der Himbeerradler für Sie und das Weißbier für den Herren.« Artig sagten wir danke. Als die Kellnerin weg war, tauschten meine Freundin und ich aber die Gläser, damit ich meinen picksüßen, rosa Radler genießen kann, während sie an der Weißen trinkt. Wir hatten bei einem anderen Kellner bestellt – die, die servierte ging ganz automatisch davon aus, dass ich das Bier trinke.

Nicht, weil sie eine Sexistin wäre. Selbst Gralhüter*innen der Gleichbehandlung sind oft kurz irritiert, wenn sie einen Mann mit Kinderwagen sehen oder eine Mutter gleich nach dem Mutterschutz zu arbeiten beginnt, während der Vater in Karenz geht. Warum?

Die Binnen-I-Hasser*innen

Der Senat der Uni Leipzig sorgte vergangene Woche für viel Spott und empörtes Kopfschütteln. Viele, viele Medien unterschiedlicher Qualität berichteten, dass an der Hochschule von nun an grundsätzlich die weibliche Form verwendet werden müsse. Professoren wären demnach mit »Herr Professorin« anzusprechen. Dass das Blödsinn ist, hat die Uni inzwischen klargestellt und wurde auch vom BILDblog aufgearbeitet.

Wer emotionale Diskussionen beginnen will, muss nur das Thema »Gender« aufs Tapet bringen. Das Binnen-I verachten Konservative genauso wie viele Journalistinnen und Typographie-Freaks. Harald Martenstein stellte im ZEITmagazin dieses Wochenende die Frage, warum Männer anders sind als Frauen. Und welche Antwort die Gender-Studies auf diese Frage finden.

Der feministische Elfenbeinturm

Teil meines Studiums war ein Gender-Studies-Wahlfach – zusammengezählt immerhin Lehrveranstaltungen für ein ganzes Semester. Vieles von dem, was Martenstein im ZEITmagazin schreibt, stimmt: In den Gender Studies gibt es genug Wirrköpfe, die in jedem Kugelschreiber einen Phallus sehen und der Naturwissenschaft einen heimlichen, alles bestimmenden Männlichkeits-Bias zuschreiben. Die jeglichen biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau leugnen.

Aber: Die Gender Studies sind eine junge Wissenschaft und haben mit anderen jungen Wissenschaften drei Dinge gemein:

1. Sie wird belächelt. Wie etwa auch die Politikwissenschaft, als sie in Österreich etabliert wurde, nicht ernstgenommen wurde. Vor allem vonseiten der Rechtswissenschaft, die die Staatswissenschaft bis dahin beherberte, wurde sie eher spöttisch als unnötiges Hippie-Fach abgetan. Ähnliches passiert heute der Internationalen Entwicklung. Und eben der Geschlechterforschung.

2. Sie provoziert und schießt übers Ziel hinaus. Überspitzte Aussagen und gewagte Thesen gehören dazu. Dass solche Dinge in bestimmten Strömungen vieler Wissenschaften vorkommen, ist kein Geheimnis und Teil des wissenschaftlichen Fortschritts.

3. Sie wurde aus einer politischen Motivation heraus gegründet. Dieser Aspekt ist bei den Gender Studies besonders stark ausgeprägt. Die Gründung der Geschlecherforschung als wissenschaftliche Disziplin geht einher mit diversen Frauenbewegungen und feministischen Strömungen.

Für zwei, drei Semester war auch ich Teil dieses kleinen feministischen Elfenbeinturms. Vorlesungen über das männliche Seepferdchen, das die Seepferdchenjungen austrägt und weibliche Tüpfelhyänen, die ihre dominerende Position im Rudel mittels Show-Penis zeigen. Gruppendiskussionen, die darauf hinauslaufen, wie groß eine Riesenklitoris sein muss, um als Minipenis zu gelten.

Puppen und Autos

Von außen wirkt das lächerlich. Von innen auch manchmal. Nur: Diskussionen, die so abstrakt sind, dass sie abstrus wirken, finden auch in der Politikwissenschaft und in der Philosophie statt. Das Ziel, alles zu hinterfragen, wird manchmal auf die Spitze getrieben. Das ist gut.

Ja, sicher, jeden einzelnen Unterschied zwischen den Geschlechtern mit Erziehung zu erklären, ist unrealistisch. Genauso undurchdacht ist aber Martensteins Analyse, dass es diese Unterschiede halt gebe, biologisch – und es deshalb die Männer sind, die am Anfang von Martensteins Artikel Bier trinken und Automotoren aufheulen lassen. Dass das Blödsinn ist, weiß ich aus eigener, teils leidvoller Erfahrung.

Der Autor des ZEITmagazin-Artikels zitiert etliche Studien, in denen etwa männliche Kleinkinder automatisch auf Autos zukrabbelten, weibliche auf Puppen. Ich wählte die Puppen.

Jetzt darf geschätzt werden, wie viele Eltern ihren Sohn bereitwillig mit Puppen samt Zubehör ausstatten. Ich denke, dass meine da eher die Ausnahme waren, als sie das ultracoole lila Minikinderwagerl besorgten, das ich auf etlichen Homevideos vor mir herschiebe. Wie würden sich Männer und Frauen heute verhalten, hätten sie als Kinder tatsächlich die freie Wahl gehabt? Und wie vielen Burschen hören heute noch »Hau‘ halt zurück«, wenn sie von Schlägen durch Mitschüler berichten – und wie viele Mädchen?

»Der schaut aus wie ein Mädl!«

Ein Jahrzehnt später. Ich war 13 und ich wollte rebellieren. Ich ließ mir die Haare wachsen und zog rosa Socken an. Wer mir heute erklären will, dass Menschen sich heute unabhängig vom Geschlecht benehmen und kleiden können, wie sie wollen, dem kann ich eine Reihe von Geschichten erzählen, die das Gegenteil beweisen.

(Etwa die Supermarktverkäuferin, die bei der Ausweiskontrolle ungläubig meinen Vornamen wiederholte und der herbeigerufenen Kollegin zurief: »Schau, der schaut aus wie ein Mädl!«)

Dass Männer schneller Marathon laufen als Frauen, darf mit der Biologie begründet werden, ohne einen ernstzunehmenden Sexismus-Vorwurf fürchten zu müssen. Wer im Zweifelsfall annimmt, dass bestehende Ungleichheiten gesellschaftlich bedingt und damit änderbar sind, ist aber eher auf der sicheren Seite. Ganz auszuschließen ist nie, dass hinter einem biertrinkenden Motoraufheulenlasser ein sensibler Menschenversteher steckt – der nie gelernt hat, seine echten Stärken auszuspielen, weil sie als weiblich gelten.

Schmutziger Wahlkampf am Juridicum: »Du bist irgendwann in diesem System drinnen«

Konsequente Vermischung von Aktionsgemeinschaft und Fakultätsvertretung. Merkwürdige Vorgänge im FV-Forum. Ein ehemaliger Spitzenkandidat, der der AG den Krieg erklärt. Es ist Wahlkampf. Je genauer man am Wiener Juridicum hinschaut, desto mehr Eigenartigkeiten tauchen auf.

AGJus-Plakate vor dem Juridicum

Lange Haare, leger angezogen: Marek Sitner war laut Selbsteinschätzung »immer das Antibild eines AGlers«. 2011 war er deren Spitzenkandidat für die Wahl zur Studienvertretung am Wiener Juridicum. Heute sitzt der Zwei-Meter-Mann im Gasthaus zum Rebhuhn im neunten Bezirk und vergleicht sich mit einem Hobbit, der von einer schwarzen Wolke aus Mordor verfolgt wird: Der Aktionsgemeinschaft Rechtwissenschaften, kurz AGJus.

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